Brot
Klappe
Brot
Klappe
ZEHN BUCHSTABEN, ZWEI WÖRTER: BROT UND KLAPPE. DOCH WAS STECKT DAHINTER?

So oft gehört, so oft ausgesprochen, doch was verbirgt sich wirklich dahinter? Ich setze ich mich auf eine Bank vor die ältere Backstube und denke beim Rauschen der Trierer Straße darüber nach, wie man das erklären könnte. Wo und wie fängt man das an? Wird hier in der Dichterstadt nicht sowieso schon genug über die Brotklappe geschwärmt, geschimpft, gelobt und diskutiert? Ich könnte über Nachhaltigkeit schreiben, die Liebe zum Handwerk, über Autolyse, Teigruhe, Falten, Kneten und Kühlen, über begeisterte Stammkunden reden oder die Zweifler erwähnen, die sich stören an der „teuren Luft“. Doch das ist bestenfalls die Kruste der Geschichte.

SCHNEIDEN WIR DAS GANZE EINMAL AN.

Es beginnt mit Mehl und Wasser. Das ist alles, seit tausenden von Jahren. Brot ist älter als die Pyramiden, älter als die Akropolis, schon Platon, Hannibal oder Jesus teilten es mit ihren Gefährten. Doch wie kommt es, dass Brot bis heute immer wieder anders schmeckt, anders riecht, sich anders anfühlt? Vielleicht bringt uns die Musik auf die Fährte. Diese ist so alt wie die Menschheit, besteht aus einer begrenzten Anzahl von Tönen und bringt doch immer neue Variationen hervor. Und manchmal, da taucht diese eine Melodie auf, die uns einfängt und nicht loslässt. Etwas hat einen Nerv getroffen und lässt uns körperlich reagieren. Was passiert da? Ich lasse es mir erklären, lang und breit. Brotklappengründer Sebastian Lück spricht von Weizenmehl 550 und Fermentolyse, Sauerteigherstellung, die Mühle in Dehnstedt, in der Christiana die Landwirtin aus Tonndorf, ihren Weizen mahlen lässt, der dann in die Brotklappenbrote fließt. Von Timing ist die Rede, Techniken, Temperaturen, Gefühl, Qualitätskontrolle. Und dass er das Luftige mag, die Lücken im Brot. Lück & Lück, „Funk is what you don`t play“, womit wir wieder bei der Musik wären. Ich schweife ab, mir schwirrt der Schädel. Das ist alles so kompliziert, eine Wissenschaft, ein absolutes Mysterium, Mehl und Wasser und ganz viele Unbekannte. Man lernt nie aus. Hier ist nichts optimiert, sondern täglich neu. Was funktioniert fliegt raus. Gemütlichkeit gibt es nur für die Gäste.Wo waren wir stehen geblieben? Ich muss tiefer hinein in die Materie und betrete die Backstube. Einem Sammelsurium aus Biografien, Kulturen und Mentalitäten begegne ich da: 48 Angestellte, 12 Nationen, 4 Kontinente, 5 Abteilungen. Kolumbien, Brasilien, Chile, Südkorea, Ukraine, Australien, Deutschland, Frankreich, Syrien, Italien, Griechenland, Somalia. Bäckerei, Patisserie, Küche, Stulle, Café. Fachleute, Quereinsteiger, Studenten, Schulabbrecher. Vollzeit, Nebenjob, Kleinunternehmer. Ein Melting Pot im täglichen Ringen um die perfekte Wasser-Mehl-Mischung.

Und das ist nur der Stand jetzt. Womöglich ist das alles morgen schon wieder völlig anders. Wie behält man da den Überblick? Schauen wir zurück. Wir sehen einen Keller vor, sagen wir, 7 Jahren. Der Keller der Familie Lück: Annika, Sebastian, Hannah, Alba und Karl. Sonntags verkaufen sie Brot im eigenen Garten. Sebastian hat ein Rezept der kalifornischen Bäckerei Tartine entdeckt, das ihn nicht mehr loslässt. Später ziehen sie in einen Laden in Erfurt, dann in der Trierer Straße in Weimar. Annika wird Caféchefin, Sebastian Bäckermeister, Hannah und Alba schmeißen den Verkauf, Karl entwickelt schon früh Kochtalente. Das Konzept verfestigt sich, das Hobby wird zum Beruf. Freunde arbeiten mit im Laden, dann die ersten Festangestellten, Schichtleiterinnen und Schichtleiter, Köche, Baristi. Sie alle erweitern die Familie, zusammengehalten von einer Idee. Hier ist etwas gewachsen, stabil und trotz des Gewusels einfach und klar. Wie ein Beatles-Song. Das Handwerk kann man lernen, klar, die Leidenschaft nicht. Die hat man sofort oder nie. Der Rest ist Vertrauen und auch ein bisschen Lust am Experiment. Wir treten an den Kneter und treffen Katherine aus Kolumbien. Sie hat die Wassertemperatur heute mal um zwei Grad nach unten gesenkt, einfach so, ohne zu fragen. Das beste Brot seit Wochen, wird der Bäckermeister am Abend schwärmen. Sie hat einfach ein Händchen dafür, Empathie für den Teig. Morgen wird hier Gabriel aus Chile stehen, ein Computerwissenschaftler. Das Brot wird dann wieder einen anderen Charakter bekommen, der menschliche Faktor birgt Überraschungen. Jetzt hab ichs: Brot und Klappe, das ist das Gegenteil von 0 und 1.